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Killt die künstliche Intelligenz die Innovation?



AI ist datenschlau, der Mensch jedoch bedeutungsschlau. Deshalb muss die Verbindung intelligent gestaltet werden. Ein Gastbeitrag der Keynote Speakerin Monika Herbstrith-Lappe.



„Das haben wir schon immer so gemacht." ...


ist vermutlich das häufigste Killerargument gegen Veränderungen und neue Ideen. Und genau dieses Paradigma ist Grundlage der sogenannten künstlichen Intelligenz: Sie identifiziert Muster aus großen Datenmengen der Vergangenheit – und nutzt sie für ihre Algorithmen – in der Annahme, dass diese auch für die Zukunft gelten. Ist daher Artificial Intelligence ein mächtiger Hemmschuh für Fortschritt und Innovation?


Fortschreiben der Vergangenheit verhindert wahren Fortschritt


In den Konzepten der AI spiegelt sich der Ausspruch vom Zukunftsforscher Matthias Horx wider: „Ich habe festgestellt, dass die Menschen sich gar nicht wirklich für die Zukunft interessieren. Sie interessieren sich eher für die Verlängerung der Vergangenheit ins Morgen. Genau das aber hat die Zukunft nicht im Programm.“

AI beherrscht die beschreibende Statistik der Vergangenheit und nutzt diese für schließende Statistik als Grundlage zukünftiger Entscheidungen. Bei Diskontinuitäten führt das zu völlig irrigen Schlussfolgerungen.

In der Digitalisierung der bestehenden Geschäftsmodelle und Prozesse schreiben wir auch die bestehenden Probleme fort. So kann nichts grundsätzlich Neues erwachsen.

George Bernard Shaw mahnt: „Für jedes komplexe Problem gibt es eine einfache Lösung … und die ist häufig falsch.“

Wenn wir nicht bewusst reflektieren und gegensteuern, führen die vereinfachenden Modellannahmen der AI in gesellschaftliche Fallen.


Falle Beharrungsvermögen

Viele Veränderungsvorhaben scheitern an der Macht der Gewohnheit. Unwillkürlich fallen wir in alte Gewohnheitsmuster zurück. Als mein Mann zum Rauchen aufgehört hat, hat es ungefähr ein Jahr gedauert, bis er für alle Situationen seine bisherigen Verhaltensroutinen mit Zigaretten in solche ohne umgepolt hatte. Die sogenannte künstliche Intelligenz vertraut blind den bisherigen Mustern. Es dauert, bis sie diese kontinuierlich an neue Gegebenheiten anpasst. Heraklit glaubt noch: „Beständig ist nur der Wandel.“ Dafür ist die Lernfähigkeit der AI gut geeignet. Doch Wandel hat sich jetzt von einem continuous zu einem disruptive change verändert. Für völlig geänderte Verhältnisse wäre eine Umprogrammier-Möglichkeit von „if … then …“ praktisch. Was dzt. der künstlichen Intelligenz noch fehlt ist die Fähigkeit, rasch zu verlernen.


Falle Elefanten-Gedächtnis


Mein Mann und ich sind begeisterte Taucher*innen. Auf dem Weg zur Tauchsafari in Belize wären wir fast beim Stopover in Miami trotz gültiger 10-Jahres-Einreisevisa zurückgeschickt worden. Die automatische Pass- und Visumkontrolle hat erkannt, dass wir einige Jahre zuvor im Sudan waren. Unsere Füße haben weniger als eine Stunde sudanesischen Boden betreten, um einen Leuchtturm auf einer sonst unbewohnten Insel zu besuchen. Wir wurden zweimal verhört bevor der diensthabende Beamte uns die Genehmigung zur Weiterreise erteilte. Ein Beispiel wie entscheidend es sein kann, welche digitalen Spuren man hinterlässt und welche schwerwiegenden Folgen das auch noch viel später haben kann. Gleichzeitig auch die Erkenntnis, wie wichtig es ist, ausreichend zu differenzieren. Ein längerer Aufenthalt in sudanesischen Großstädten ist sicher anders zu beurteilen, als ein Ausflug von Ägypten in den sudanesischen Teil des Roten Meeres.

Falle Scheinkorrelationen: Kausalität ist mehr als Koinzidenz


Der Roman „Die Verteidigung der Missionarsstellung“ von Wolf Haas verfolgt die Grundidee, dass unser Wort „weil“ jetzt kausale Bedeutung hat jedoch ursprünglich nur „während“ mit rein zeitlicher Dimension gemeint hat.

„Während ich in Asien auf Urlaub war, ist dort die Vogelgrippe ausgebrochen.“ hat natürlich eine ganz andere Implikation wie die Variante „Weil ich in Asien auf Urlaub war, ...“ Es besteht ein wesentlicher Unterschied zwischen Koinzidenz und Kausalität.

Die AI erkennt Muster, welche Parameter in der Vergangenheit in Kombination bzw. Korrelation aufgetreten sind. Diese Verknüpfung verwendet sie jedoch im kausalen Sinn für zukünftige Entscheidungen. Das erinnert mich an den Witz: „Mir ist jetzt mehrfach ziemlich übel geworden. Das eine Mal habe ich Whisky mit Eis getrunken, das andere Mal Wodka mit Eis, das dritte Mal Gin mit Eis. Da fällt mir auf: Ich muss das Eis weglassen.“


Falle Ursache-Wirkungs-Verwechslung

Meiner Tochter habe ich in ihrer frühen Kindheit nur zu besonderen Gelegenheiten, wie Weihnachten, Geburtstag etc. ein Kleid angezogen. Eines Tages sieht sie ihr Kleid und sagt, ich möchte wieder das Kleid anziehen, damit ich Geschenke bekomme. Nassim Taleb enttarnt in seinem Buch „Narren des Zufalls“, dass Absolvent*innen von Eliteuniversitäten nicht wegen der Qualität der Ausbildungsstätte so gut vernetzt sind, sondern wegen ihrer guten Vernetzung auf der Universität einen Studienplatz gefunden haben.

In der Naturwissenschaft geht es immer um ein-ein-deutige Nachweise. Wenn zum Beispiel die AI für Kreditgenehmigung genutzt wird, sollte man berücksichtigen, dass NUR DIE EINE Richtung stimmt: Wenn ich finanzschwach bin, kann ich mir nur eine kleine Wohnung leisten. Nicht aber die andere Richtung: ich kann sehr finanzkräftig sein und als Single mehr Wert auf Reisen als auf Wohnen legen. „Wenige Quadratmeter Wohnfläche daher geringe Kreditwürdigkeit“, greift hier zu kurz.

Falle Perfektionierung von Vorurteilen und Klischees


In den USA hat man ein Experiment gestartet Gerichtsurteile durch AI zu objektivieren. Doch in die Entscheidungsfindung sind die Daten der Vergangenheit eingeflossen, in der farbige junge Männer häufiger und strenger verurteilt wurden. Dieses Muster hat dann die AI konsequent im Entscheidungsalgorithmus umgesetzt.

Übersetzungscomputer für Sprache ohne geschlechterspezifische Fürwörter entscheiden aufgrund der Datenmengen, die ihnen zur Verfügung stehen, welche Zuschreibungen sie mit „er ist …“ oder „sie ist …“ übersetzen.


Falle Digitaler Analphabetismus


Aus der Corona-Krise nehme ich mir mit, welche Möglichkeiten die Digitalisierung bei beschränkter Mobilität eröffnet. Wenn wir die digitalen Tools und Abläufe nicht niederschwellig gestalten, schließen wir viele von den Zugängen aus. Home Schooling hat das in trauriger Weise gezeigt.


Mainstream-Falle


Wird AI für Matching wie zum Beispiel Recruiting eingesetzt führt das in Monokulturen.

Die Muster sind klar: bisher waren hauptsächlich Menschen mit diesen Charakteristika in dieser Funktion beschäftigt, dann bevorzugt das System ähnliche Bewerber*innen und schließt andere aus. In der Geldveranlagung ist Diversifizierung zur Streuung von Risiken gang und gebe, um für unbekannte zukünftige Entwicklungen breit aufgestellt zu sein. Auch in der Forstwirtschaft hat man erkannt, dass Mischwälder gegenüber klimatischen Änderungen wesentlich überlebensstärker sind.

Die Vielfalt von Mixed Teams macht kreativ und innovativ, weil sie zusätzliche Sichtweisen erschließt und das Handlungsrepertoire erweitert. Mehr Möglichkeiten sind mehr Chancen. Das macht zukunftsfit.


Digitalisierung als Innovations-Ermöglichung

Seit vielen Jahren nutze ich zum Wachrütteln den Dialog: „Der Wind frischt auf. Setzt die Segel!“ „Keine Zeit wir müssen rudern.“

„Dafür haben wir keine Zeit.“ zählt ja auch zu den häufigsten Killerargumenten gegen innovative Projekte. Ich halte die sogenannte Künstliche Intelligenz nicht für intelligent und schon gar nicht für kreativ. Der Hirnforscher John-Dylan Haynes spricht mir aus dem Herzen. „Algorithmen sind Fachidioten.“ Das dafür exzellent. Wenn wir es schaffen, dass uns automatisierte Abläufe das operative „Rudern“ abnehmen oder zumindest wesentlich erleichtern, so bietet uns das die Chance, die strategischen „Segel“ in Richtung zukünftiger Chancen und Herausforderungen zu setzen.

Kreativität und Innovationskraft bleiben bis auf weiteres uns Menschen überlassen.

Dazu einer der Kybernetik-Väter Norbert Wiener: „Ich will nicht sagen, es sei unmöglich, der Maschine intuitive Fähigkeiten zu geben, doch wäre es einfach unwirtschaftlich, sie auf etwas anzusetzen, was der Mensch viel besser kann.“

Gefordert ist eine intelligente Gestaltung der Verbindungsstellen zwischen Digitalen Devices und Menschen. Artificial Intelligence ist datenschlau. Wir Menschen sind bedeutungsschlau.

Technologische Möglichkeiten sind das Eine. Welche davon wir in verantwortungsvoller Weise wie nutzen ist das Entscheidende.




Über die Autorin:

Mag.a Monika Herbstrith-Lappe ist Gründerin und geschäftsführende Gesellschafterin der Impuls & Wirkung – Herbstrith Management Consulting GmbH, vielfach ausgezeichnete internationale Keynote Speakerin und Top-Trainerin, High Performance Coach und Management Consultant. Seit ihrem philosophisch-erkenntnistheoretischem Mathematik- und Physikstudium versteht sie sich als tiefgründige Vermittlerin zwischen Hard Facts und Soft Skills. Sie schöpft aus einem reichen Erfahrungsschatz von Managementkonzepten, systemischer Psychologie und Coaching-Prinzipien bis zur Humor- und Herzensbildung. Mit ihrem Möglichkeits-Meer verbindet sie ihre Tauchbegeisterung mit den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Strömungen. Sie verspricht: „In freudvoller Leichtigkeit mehr bewirken." Sie hat zahlreiche Fachartikel verfasst und ist Autorin unter anderem der Bücher „leistungsstark & lebensfroh" und „Tauchen im Ozean des Lebens".




Fotos: Andrea Klem



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