Bei der Mondi Group werden täglich auf allen Ebenen Entscheidungen getroffen. Die Digital-Execellence-Organisation liefert KI-Lösungen, die dabei auf vielfältigste Weise unterstützen.
Zu langsam zu reagieren oder mit Entscheidungen zu lange zu zögern, kann man sich bei der Mondi Group, einem weltweit führenden Papier- und Verpackungsanbieter, nicht leisten – und das im wörtlichen Sinn. Und dabei geht es nicht nur um die Entscheidungen über großangelegte Investitionen oder die Erschließung neuer Geschäftsfelder. Es geht um Entscheidungen, die tagtäglich an vielfältigen Punkten von verschiedensten Mitarbeiter:innen des Konzerns getroffen werden. Kleine Entscheidungen, die in Summe aber sehr viel ausmachen.
Ein Paradebeispiel dafür ist der Mondi-Kernprozess: die Papierherstellung. Holz ist ein lebendes Ausgangsprodukt – jeder Baumstamm ist letztlich individuell. Das hat zur Folge, dass sich die Parameter bei einem Fertigungsprozess immer ein klein wenig ändern können – und dass damit am Ende auch die produzierte Qualität der Papierrolle von der Zielvorgabe abweichen kann. In anderen Worten: Es könnte sein, dass man Ausschuss produziert – Ausschuss, der eine Menge Zeit, Energie, Chemikalien und letztlich Geld kostet. Je früher man solche Abweichungen also erkennt und je rascher man darauf reagiert und entscheidet, dagegen zu steuern, umso größer die Ersparnis.
Wenn Qualität nicht mehr zur Geduldsprobe wird
Um genau solche Reaktionen und Entscheidungen zu ermöglichen, setzt man bei der Mondi Group zunehmend auf Unterstützung durch KI-Lösungen. Der Lead dafür liegt bei Angelika Hofer-Orgonyi und ihrem 15-köpfigen Team von Data Scientists und Projektmanagern. Mit Kosteneffekten kennt sie sich bestens aus – bevor sie im Juni 2022 die Rolle als Head of Digital Excellence übernahm, war sie im Konzern fünf Jahre lang als Finance Director für verschiedene Business Units tätig. Das ist nun überaus hilfreich, weil sie sehr gute Einblicke in die Prozesslandschaft und Nähe zum Business und seinen Anforderungen mitbringt – und weil sie in erster Linie den Nutzen im Auge hat und nicht Gefahr läuft, sich von Technologie-Hypes mitreißen zu lassen.
„Die Digitalisierung ist kein Selbstzweck“, sagt Angelika Hofer-Orgonyi. „Die entscheidende Frage ist: Wie kann ich mit verfügbarer Technologie Unternehmensprozesse besser, effizienter und stärker kundenorientiert gestalten? So gesehen ist Digitalisierung und ist auch KI keine Rocket Science. Die Herausforderung ist eher das Tempo, mit dem sich in jüngster Vergangenheit die Anwendungsmöglichkeiten von Open AI bis zu ChatGPT entwickelt haben – vor allem in Anbetracht, dass KI als Thema ja schon zig Jahre präsent ist.“
Zurück zum Paradebeispiel Papierproduktion: Musste man noch vor ein paar Jahren das Ende des etwa zweieinhalbstündigen Fertigungsprozesses vom Holzplatz bis zur fertigen Papierrolle abwarten, um letztlich nach einer kurzen Analyse Gewissheit zu haben, ob die angestrebte Qualität erzielt wurde oder der ganze Prozess noch einmal zurück an den Start musste, liefern heute KI und selbstlernende Algorithmen im selben Augenblick, in dem Sensoren entlang der Produktionslinie Abweichungen von den definierten Parametern feststellen, dem Maschinenführer oder der Maschinenführerin die Prognose, dass das zu Lasten der Qualität gehen könnte. Und dazu auch gleich Handlungsempfehlungen, wie etwa den Druck zu drosseln oder die Geschwindigkeit zu erhöhen. KI-Lösungen, die auf virtuellen Sensoren basieren, gehen noch einen Schritt weiter und prognostizieren aus den erfassten Maschinen- und Umgebungsdaten Probleme, die hier künftig noch entstehen könnten. Die Entscheidung, ob und wie schnell er oder sie darauf reagiert, liegt beim Menschen.
Intelligente Unterstützung in neuen Arbeitsrollen
Die erzielbaren Kosten- und Qualitätseffekte sind aber nur ein Aspekt, der KI hier echtes Game-Changer-Potenzial verleiht. Ein ebenso wichtiger Aspekt ist der Fachkräftemangel: Leute, die eingehende spezifische Erfahrung für eine Rolle mitbringen, sind immer schwerer zu finden und mindestens genauso schwer Leute, die den größten Teil ihres Berufslebens an einer Produktionsmaschine in einer Fabrik verbringen möchten, geschweige denn im Schichtdienst.
„Der Trend geht klar in die Richtung, dass die Menschen öfter ihre Rolle wechseln und deshalb auch öfter in neue Aufgaben hineinwachsen müssen“,
stellt Hofer-Orgonyi fest. „Also gilt es, für diese Leute Komplexität aus der Fabrik und aus den Prozessen herauszunehmen – und ihnen bei den vielen, kleinen Entscheidungen, die sie tagtäglich treffen müssen, Hilfestellung zu geben: Läuft die Maschine in der richtigen Geschwindigkeit? Gibt es irgendwo ein Problem? Braucht es da eine Wartungsarbeit? Bei einer solchen Unterstützung der Mitarbeiter:innen ist KI ein entscheidender Wettbewerbsfaktor.“
Und das gilt weit über die Mondi-Kernprozesse in der Produktion hinaus – etwa für die Lieferketten, um den Einkauf bei der raschen Entscheidung zu unterstützen, welche Ressourcen von welchen Lieferanten in welchen Mengen bestellt werden sollen. Die Mengen an aktuellen Daten, die hier bei einem globalen Player zum Zeitpunkt der Entscheidung berücksichtigt werden müssen, sind für zentrale Einkäufer mit konventionellen Systemen kaum bewältigbar. KI-Tools liefern hier wertvolle Grundlagen für die Entscheidung im Hier und Jetzt, und zwar nicht rückschauend, sondern prognostizierend, wie sich der Bedarf in nächster Zukunft entwickeln wird. Auch die Nachhaltigkeit, einer der zentralen Werte der Mondi Group, wird dabei zu einem immer wichtigeren Kriterium.
Vielfältige Unterstützung braucht aktuelles Know-how
Nicht immer sind es aber fertige Lösungen mit denen das Digital Excellence Team die Fachbereiche durch den Einsatz von KI unterstützt – oft passiert das in Form von Simulationen, die in Sachen Business Resilience gleich mehrfachen Nutzen liefern. „Eine Simulation bietet nicht nur sehr viel rascher Entscheidungshilfen, sondern kann vor allem auch sehr viele Risiken rausnehmen“, weiß Angelika Hofer-Orgonyi. „Wenn man zum Beispiel in einer Supply-Chain-Struktur etwas ändern möchte, musste man früher konventionell durchrechnen, ob und wie das funktionieren kann. Wenn man davon überzeugt war, hat man es umgesetzt und dann gesehen, ob es tatsächlich funktioniert oder nicht. Heute kann man den Case mit einem kleinen Modell simulieren und kann sich dabei die verschiedensten Parameter anschauen und hat so eine viel bessere und viel fundiertere Entscheidungsgrundlage“.
Etwa 50 Projekte setzt das in Wien angesiedelte Digital Excellence Team jährlich um. Daneben beschäftigt man sich mit einer Reihe weiterer Cases, evaluiert das tatsächliche Potenzial und startet MVPs – von denen es dann längts nicht alle in das Projektportfolio schaffen. Zumindest 20 Prozent der Zeit wird darauf verwendet, sich eingehend mit neuen Technologien zu beschäftigen – mit Fragen wie: Was heißt das für uns, und wo können wir diese Dinge auf welche Weise einsetzen? Das Thema KI steht hier aktuell ganz klar im Fokus, und das macht auch die Suche nach den Antworten zu einer gehörigen Herausforderung in Sachen Resilienz und Agilität.
„Vor zwei Jahren hat niemand geahnt, dass wir uns so intensiv mit GenAI und LLM befassen werden müssen“, sagt Angelika Hofer-Orgonyi.
„Man muss sich heute beim Evaluieren von Technologien und Innovationen noch viel schneller und flexibler an permanente Richtungswechsel anpassen, je nachdem was die Technologie hergibt, aber auch, wie die Anforderungen aus dem Business an diese jeweilige Technologie aussehen.“
Wenn die eigenen Daten zum Wettbewerbsvorteil werden
Die dafür benötigten zeitlichen und menschlichen Ressourcen investiert man sehr bewusst in diese Aufgabe – und damit gleichzeitig in das Generieren von spezifischem Know-how. Zwar sind viele KI-Tools, die etwa zur Optimierung der Geschwindigkeit und der Qualität in der Produktion eingesetzt werden, heute bereits Branchenstandards. Aber die strukturierte, durchgängige Datenlandschaft, die bei der Mondi Group über Jahre hinweg aufgebaut wurde und auf die das Digital Excellence Team nun aufsetzen kann, verschafft eine wertvolle Basis, um mit der einen oder anderen individuellen Lösung einen echten Wettbewerbsvorteil zu schaffen. Solche Lösungen möchte man mit eigenen Händen entwickeln und in der eigenen Hand behalten – zum Beispiel, um die Innovation und Intelligenz, die darin steckt, innerhalb des Konzerns skalieren und multiplizieren zu können. So wie es beispielsweise letztes Jahr in einem Verpackungswerk an einer Silikonier-Anlage mit einer Idee für virtuelle Sensorik gelungen ist, die eigentlich für eine Papiermaschine entwickelt wurde.
Für solch ein erfolgreiches, übergreifendes Skalieren, ist es entscheidend, dass das Digital Excellence Team hinaus in die Business Units geht. Zwar müssen die Use Cases und die Projekte von dort kommen, aber dazu gilt es, den Stakeholdern zunächst einmal Impulse dafür zu liefern: Wir kennen Eure Anforderungen und wir glauben, dass KI Euch hier unterstützen könnte und zwar zum Beispiel auf diese Weise. Grundvoraussetzung dafür ist allerdings, die Anforderungen der Business Units tatsächlich zu verstehen.
Dazu schwärmen alle Mitglieder des international aufgestellten Teams vom Headquarter laufend in die ganze Welt aus. Das ist für Hofer-Orgonyi extrem wichtig: „Wir machen unsere Arbeit nicht an den Schreibtischen. Der Schlüssel zum Erfolg ist, dafür in die Produktionsumgebung hinaus zu gehen – dorthin, wo die Lösungen implementiert und eingesetzt werden müssen.“
Nicht nur die Projektmanager, sondern genauso auch die Data Scientists gehen in die Fabriken, sprechen vor Ort mit den Prozessingenieuren und Maschinenführern und sehen sich die Produktionsanlagen genau an. Manchmal sind sie ein paar Wochen am Stück vor Ort und arbeiten von dort aus.
Den anderen verständlich machen, wie KI tickt
Aus der Distanz oder nur virtuell lässt sich das Business nicht wirklich verstehen, selbst dann nicht, wenn es um digitale Innovationen und um KI geht – oder vielleicht gerade dann. Damit es mit dem Verstehen wirklich klappt, durchlaufen sämtliche Team-Mitglieder eine Schulung, um die Geschäftsmodelle, Produktionsprozesse, Produkte und das Fach-Wording der Mondi Group kennenzulernen. Mit dem Business in dessen Sprache sprechen zu können, ist umso wichtiger, als es schon Bedarf gibt, die „Blackbox KI“ transparent zu machen und den Kolleg:innen zu erklären, wie sie zu den Entscheidungshilfen kommt, die sie ihnen liefert. Dass die Parameter, die Algorithmen und die Muster, aus denen die KI lernt, auf den Daten basieren, die direkt aus den Business Units selbst hier hineinfließen, macht es zumeist für das Gegenüber verständlich.
Manchmal bedarf es dann aber doch ein wenig mehr.
„Gerade, wenn mit Hilfe von KI konkrete Prozesse neugestaltet werden sollen, muss man auch einmal ein wenig mehr Zeit investieren“,
konstatiert Angelika Hofer-Orgonyi. „Vor allem, wenn die KI auf Anhieb vielleicht etwas liefert, was man so nicht erwartet hätte. Dann heißt es gemeinsam zu hinterfragen, warum das so ist und das kann dann mitunter ein langwieriger Prozess werden.
Aber echtes Verständnis für das Business lässt sich nur so erzielen. Wenn dieses Zusammenspiel nicht funktioniert, werden auch die tollsten KI-Tools letztlich nicht die gewünschten Effekte bringen.“
Für manche Dinge brauchst es eben auch für Business Reslience einmal ein wenig Zeit.
Von Michael Bentele Fotos: Heidi Pein
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