Wir mussten einmal lernen, den KI-Kosmos zu verstehen
- DigBiz Leader
- 27. Apr.
- 6 Min. Lesezeit

Als digitaler Vorreiter geht der Obst- und Gemüseproduzent Frutura das Thema KI sehr strategisch und interdisziplinär an. Einer der Hauptakteure ist Andreas Hohensinner, Head of IT.
Das „Kompetenz“ im Namen der steirischen Frutura Obst & Gemüse Kompetenzzentrum
GmbH steht nicht nur für die Expertise in innovativer und nachhaltiger Lebensmittelproduktion. Auch in Sachen Digitalization hat man sich in den letzten Jahren von einem der vielen Late Bloomers in der Branche zum absoluten Vorreiter entwickelt. Digitalisierung und Automatisierung sind mittlerweile strategische Fixpunkte der Unternehmensstrategie – umso mehr, als das in Zeiten des Klimawandels zu einem immer brennenderen Thema wird. Diesem begegnet man beispielsweise, indem man in der Frutura Thermal Gemüsewelt heute einen geschützten Anbau betreibt, bei dem man nicht nur das Wassermanagement und die Beleuchtung digital optimiert, sondern auch die vielen Schritte bei der Pflege der Pflanzen auf ihren Bedarf ausrichtet. Und das mit minimalem Einsatz von Chemie, dafür aber mit sehr viel wissenschaftlicher Expertise im Rahmen von Forschungsprojekten.
Da ist es nur logisch, dass man sich im nächsten Schritt nun intensiv damit beschäftigt, das gesamte Unternehmen KI-fit zu machen, um dadurch neue Möglichkeiten zu
nutzen. Potenzial gibt es dafür reichlich.
„Wir wickeln im Jahr 230.000 Tonnen Obst und Gemüse ab, das wir entweder selbst produzieren, oder wo wir als Vertriebspartner fungieren“, sagt Andreas Hohensinner, Head of IT von Frutura und selbst zertifizierter KI-Manager. „Da gibt es sowohl im operativen als auch im administrativen Bereich etliche Abläufe, bei denen sich mit KI Optimierung erzielen lässt.
Das beginnt ganz klassisch beim Screenen, Einteilen und Verteilen von E-Mails, das viele unserer Mitarbeitenden in der Dispositionsabteilung und in der Kunden- und Lieferantenkommunikation beschäftigt. Wenn das die KI übernehmen könnte, wäre das ein großer Effizienzgewinn.
Und genauso gibt es in der Logistik, bei der Verpackung, im Transportmanagement und bei der Produktion etliche Use Cases, wo KI bei der Arbeit erheblich unterstützen könnte.“
Vielfältige Pilotprojekte
In einer Reihe von Bereichen hat das Unternehmen mit der Erschließung dieses Potenzials bereits begonnen – beispielsweise bei der Ernteschätzung durch den Einsatz von Computer Vision. Mit einer Kombination aus Drohnen und KI lässt sich sehr viel rascher erkennen, welche Früchte schon reif für die Ernte sind, als von Menschen, die weiträumige Anbauflächen ablaufen müssen. Dazu hat man in der Frutura Thermal Gemüsewelt bereits vor zwei Jahren das erste Pilotprojekt gestartet, um den Reifegrad der dort angebauten Tomaten evaluieren zu können – und das erfolgreich.
KI hat man in Verbindung mit klassischen vor- und nachgelagerten Prozessen beispielsweise auch genutzt, um die Etikettenprüfung zu optimieren. Dabei matcht die KI Kamerabilder direkt mit den Produktdaten im ERP-System und überprüft beispielsweise die Bezeichnung und Codierung auf ihre Richtigkeit und steigert so angesichts der vorhandenen Produktvielfalt die Geschwindigkeit und Qualität der Abläufe erheblich.
Bei der Automatisierung in der Logistik und im Transportmanagement kommen Transport-Roboter zum Einsatz, die komplett automatisiert vom ERP-System gesteuert werden und dabei auch sämtliche Buchungen vornehmen. Die Mitarbeitenden werden auf diese Weise im wortwörtlichen Sinn entlastet und zwar vom täglichen Transport unzähliger entsprechend schwerer Paletten. Die Roboter funktionieren dabei rein kamerabasiert ohne komplizierte Leitsysteme.

„Man macht mit den Robotern eine Tour über die Betriebsfläche, die sie dabei einscannen und sich so selbst eine Map der Umgebung erstellen“, erzählt Hohensinner.
„Diese Map wird mit einem Grundriss des Gebäudes hinterlegt, und dann zeichnet man einmalig die Hauptverkehrswege und Querverbindungen ein. Ab da wählen die Roboter autonom die optimale Route für Ihre Transporte aus.“
Das ist auf einer Fläche von 14.000 Quadratmetern gar nicht immer so einfach. Da hilft es, dass die autonomen mobilen Roboter, kurz AMR, zwar selbstständig, aber dennoch nicht auf sich alleine gestellt sind – man agiert vernetzt. Wenn ein Roboter auf seinem Weg durch irgendein Hindernis aufgehalten wird, teilt er das seinen künstlichen Kollegen sofort mit, damit diese eine Ausweichroute wählen.
Strategisches Herangehen
Dass auch Uses Cases von selbst den richtigen Weg für die Umsetzung einschlagen, funktioniert in der Regel allerdings auch bei KI-Projekten nicht. Dafür bedarf es noch eine Menge menschlicher Arbeit und Zeit, wie Andreas Hohensinner aus eigener Erfahrung weiß: „Bei dem Projekt in Blumau mussten wir die Modelle ein Jahr lang mit Daten dazu antrainieren, wie eine Frucht aussehen muss, wenn sie optimal reif für die Ernte ist. Und da ging es nur um ein einziges Produkt, nämlich um Tomaten. Wir bauen jedoch verschiedenste Gemüsesorten an. Das ist eine ziemliche Herausforderung, aber zugleich auch eine große Chance für ein Unternehmen wie unseres. LLMs verfügen über enormes allgemeines Know-how, aber der entscheidende Mehrwert entsteht dann, wenn man dieses Know-how mit eigenem Wissen zu maßgeschneiderten Lösungen verknüpft.“
Das passt auch zum Selbstverständnis von Frutura. Als Vorreiter in der Lebensmittelproduktion nimmt man die Dinge selbst in die Hand und entwickelt viele Innovationen, oft unterstützt von Partnern, selbst. Das tut man beispielsweise schon seitdem man die Automatisierung begonnen hat, mit einem eigenen Team, das sich intensiv mit Robotik beschäftigt. Sich nur auf Use Cases, die es „vorgefertigt“ am Markt gibt, zu beschränken, reicht dem steirischen Vorzeige-Digital-Player nicht. Entsprechend strategisch geht man an das Thema KI heran: „Wir mussten zunächst einmal lernen, den KI-Kosmos zu verstehen“, sagt Hohensinner.
„Welche Arten von KIs gibt es? Wie kann ich die einsetzen? Welche Voraussetzungen braucht es für Use Cases?“
Interdisziplinäres AI-Team
Das zehnköpfige „AI-Team“ das man gezielt dafür aufgesetzt hat und das Thema KI im Unternehmen dauerhaft vorantreibt, ist interdisziplinär. Darin sind Data Science und Projekt-Management genauso vertreten wie die Geschäftsführung und die IT. Dass KI zwar eine Technologie, aber kein reines Technik-Thema ist, und dass sie das ganze Unternehmen verändern wird, war von Anfang an klar. Ein Jahr lang hat man sich in dieser übergreifenden Struktur Woche für Woche eingehend mit Fragen auseinandersetzt wie: Auf welcher technischen Plattform sollen wir unsere KI-Lösungen aufbauen? Wie sollen sie in die Organisation kommen? Wie soll das tägliche Leben damit aussehen?
Gleichzeitig hat man auch erste PoCs und Testprojekte aufgesetzt, wie zum Beispiel einen KI-Bot, der Konformitätserklärungen der Lieferanten prüft, und sämtliche Datenbanken auf neue oder geänderte Regulatorien durchforstet und mit bereits erfüllten Anforderungen abgleicht. Neben so manchem, ganz konkreten Nutzen hat man durch diese Piloten vor allem einen Überblick und ein Gefühl für die Parameter bei der Umsetzung gewonnen, etwa für die Bandbreite an unterschiedlichen KI-Tools und dafür, was tatsächlich machbar ist und was nicht. Aspekte wie den ROI hat man dabei bewusst noch außen vorgelassen. „Natürlich muss KI letztlich handfesten Nutzen bringen“, stellt Andreas Hohensinner klar. „Aber die Technologie entwickelt sich permanent rasant weiter.
Deshalb ist es wichtig, mit der Journey einmal zu beginnen – nachdem man sich gründlich darauf vorbereitet und sich mit dem Terrain vertraut gemacht hat. Aber dann führt ein Schritt zum anderen und plötzlich tun sich auch ganz neue Wege und Ziele auf.
Wenn man sich nur auf ein bestimmtes Ziel und einen bestimmten Weg konzentriert, verschließt man sich all die anderen.“
Von der Lernphase in die Umsetzung

Aus diesen Erfahrungen und Learnings heraus, hat man nachdem ersten „Lehrjahr“ nun mit der eigentlichen Umsetzung begonnen und dafür die ersten Schritte gesetzt. Der wichtigste ist die Entwicklung eines AI Cores, der alle KI-Technologien bündelt, die man zum Einsatz bringen möchte. Entsprechend offen und modular ist die Plattform gestaltet, um sie jederzeit flexibel nach Vorbild von Cloud Microservices erweitern zu können. „Gerade bei einem hochdynamischen, vielschichtigen Thema wie KI ist das extrem wichtig“, betont der Head of IT von Frutura. „Wenn ein neues Modell, wie etwa DeepSeek, auf der Bildfläche erscheint, das auch für den EU-Einsatz konform ist, dann werden wir das im Core aktivieren und können unsere Anwendungen sehr einfach auf das neue Modell switchen.“
Die nächste Stufe darüber bildet ein AI-Hub – als Front End und Interface für User quer durch alle Unternehmensbereiche, die mit KI arbeiten wollen.
Technologie und Organisation gehen Hand in Hand
Die technologischen Steps gehen dabei stets Hand in Hand mit den organisatorischen und mit der Frage, wie man die User dazu empowert, die neuen Möglichkeiten zu nutzen. Dafür setzt man auf Schulungen – um Basiswissen zu vermitteln, aber noch mehr, um zum eigenständigen Kennenlernen zu motivieren: Wie prompte ich richtig? Was kann ich hineinschreiben und was nicht? Auf welche Weise erziele ich bessere Ergebnisse?
Die Corporate KI, die den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern am AI Core zur Verfügung steht, soll dazu anregen, selbst Use Cases für den eigenen Arbeitsalltag zu generieren. Dafür integriert man gerade einen eigenen Bot in den AI Hub, der dabei unterstützt, die Ideen so zu strukturieren, dass sich damit gleich weiterarbeiten lässt. In einem nächsten Schritt plant man das Mindset für die Arbeit mit KI durch Use Case Pitches und Prompt Awards noch stärker mit Leben zu erfüllen.
Zu diesem Mindset gehört auch zu verstehen, dass KI keine Bedrohung, etwa für den eigenen Arbeitsplatz, darstellt, sondern vielmehr eine Chance liefert, das Unternehmen erfolgreich weiterzuentwickeln.
„KI hilft uns trotz Fachkräftemangels, zu wachsen – und das ist der beste Weg, zugleich auch die bestehenden Arbeitsplätze zu sichern“,
bringt es Andreas Hohensinner auf den Punkt. „Der wirtschaftliche Wettbewerb wird keinesfalls leichter werden und KI wird dabei zum entscheidenden Trumpf für innovative Unternehmen werden.“
Von Michael Dvorak; Fotos: Thomas Luef
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