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DigBiz Leader

Digital Work vs. gute alte Unternehmenskultur – oder?



Elke Schüßler, führende Expertin für neue Arbeits- und Organisationsformen, über Vertrauen als Schlüssel zum Erfolg in hybriden Arbeitsmodellen und über den Mythos Unternehmenskultur.



So wirklich neu ist das „Neue“, hybride Arbeiten mittlerweile längst nicht mehr. Aber ist es auch schon tatsächlich so richtig angekommen und zwar dort, wo es „ans Eingemachte geht“ – in der Unternehmens- und Führungskultur? Zwar sind Home Office und gemischte Arbeitsmodelle in etlichen Unternehmen und Organisationen längst etabliert, aber die Fragestellungen, die sie mit sich bringen, werden aus der Sicht vieler People Manager und Executives eher zu wachsenden Herausforderungen: Wie lässt sich neuen Mitarbeiter:innen die Unternehmenskultur vermitteln und wie lässt sich bei ihnen die Bindung an das Unternehmen aufbauen, wenn die Hälfte der Leute im Home Office sitzt oder, wenn sie – durch das dislozierte Arbeiten generell – physisch kaum jemals zusammenkommen? Gilt es, für die „hybride“ Ära vielleicht eine eigene, ganz neue Unternehmenskultur zu entwickeln?

 

Lässt sich das, was sich im überschaubaren Raum der physischen Welt funktioniert, nämlich das gute Zusammenspiel und vertrauensvolle Arbeiten in lokalen Teams – organisatorisch, sozial oder psychologisch – auch in die virtuelle Welt übertragen? Oder gilt es, sich damit abzufinden, dass man sich von Dingen wie etwa der Bindung der Mitarbeiter:innen zum Unternehmen, wie man sie aus der analogen Welt kennt, mit einem digitalen „BB“ und einem nachgeschickten nostalgischen „BFF“ verabschieden muss? Wird die Digital Work vom rettenden Brückenbauer in der Krise jetzt gar zum trennenden Faktor, der das bislang feste Gefüge von Unternehmen in isolierte Inseln disruptiert und die Führungskräfte von Bereichen und Abteilungen zu Island Hoppern macht? Und nicht zuletzt wird auch immer wieder in Frage gestellt, ob die Devise „Command & Control“ nicht schon längst wieder ihr Comeback feiert.

 

Elke Schüßler gehört zu den Menschen, die mit Sicherheit am meisten berufen sind, um auf diese Fragen profunde Antworten zu liefern. Seit einem Jahr wirkt sie als Professorin für Betriebswirtschaftslehre mit Fokus auf Entrepreneurship an der Leuphana Universität Lüneburg. Davor war sie sieben Jahre lang als Professorin und Leiterin des Instituts für Organisation an der Johannes Kepler Universität in Linz tätig.

Ausgestattet mit einem einem akademischen Hintergrund in Psychologie an der University of Sussex und in Arbeitsbeziehungen an der London School of Economics, verfolgt sie einen interdisziplinären Ansatz und  gehört zu den renommiertesten Expert:innen für die Entwicklung nachhaltiger Organisations- und Arbeitsformen. Für ihr Wirken dazu erhielt sie eine Reihe internationaler Auszeichnungen.

 

Frau Schüßler, wo liegt aus Ihrer Sicht die große Herausforderung des hybriden, gemischten Arbeitens für die Unternehmen und Organisationen und speziell für ihre People Manager?

 

Die große Herausforderung ist es heute, den Wandel, der durch gemischte, hybride, Arbeitsmodelle– allem voran durch die massiv gewachsene Bedeutung des Home Office – in den meisten Unternehmen und Organisationen angekommen ist, nun auch in der Führung umzusetzen.

Das hat vor allem mit Vertrauen und vertrauensvollem Arbeiten zu tun. Der passende Management-Ansatz, den es jetzt tatsächlich zu leben gilt, heißt: Ziele vorgeben – anstelle von Zeiten oder kleinteiligen Aufgaben. Der während des großen Schwenks in das Home Office immer wieder geäußerte Verdacht, dass die Mitarbeiter:innen daheim viel weniger arbeiten würden, zeigt ja die fehlende Bereitschaft, zu vertrauen, als grundsätzliches Problem einer noch immer oft anzutreffenden Leadership-Kultur auf. Ganz abgesehen davon, dass es mittlerweile etliche Studien gibt, die klar belegen, dass dieser Verdacht nicht stimmt, sondern daheim oft sogar mehr gearbeitet wird, was dann eigentlich wiederum neue Führungsherausforderungen erzeugt.

Deshalb geht es jetzt um einen substanziellen kulturellen Wandel – weg von dem Mindset „Kontrolle ist besser“ hin zu „Vertrauen statt Kontrolle“. Das wird allerdings nach wie vor in vielen Organisationen nicht so gelebt. Und in hybriden Arbeitsmodellen manifestiert sich die Sorge mancher People Manager, Kontrolle zu verlieren, naturgemäß noch stärker.

 

Viele People Manager betonen die Wichtigkeit von klaren Regeln für neue Arbeitsmodelle – ist das auch vor allem ein Ausdruck der Sorge um Kontrollverlust? Oder mangelt es tatsächlich noch an neuen Regeln für die neuen Szenarien und vielleicht auch daran, dass es diese erst noch zu finden gilt?


Für das hybride Arbeiten braucht es gute Führungs- und Arbeitsstrukturen mit klaren Regeln und Routinen.  Das gilt grundsätzlich allerdings in allen Settings des Arbeitens – bei der physischen Präsenz genauso wie im digitalen Raum. Im physischen Raum sind diese Regeln allerdings tatsächlich oft unklarer definiert. Das beginnt bei der Kommunikation miteinander, etwa, dass man einander bei einer Diskussion am selben Tisch öfter ins Wort fällt. Oft wird der Bedarf für Regeln hier auch gar nicht ausreichend erkannt. Im digitalen Raum war dieser Bedarf für Regeln dagegen von Anfang an klarer. Aber auch dort ist es nicht so einfach, Regeln zu definieren, die für alle passen. Und für hybride Arbeitsmodelle ist es noch herausfordernder, weil dort eben die Konstellationen häufig wechseln. Dafür gibt es auch kein Patentrezept, weil hier die persönlichen Präferenzen ebenso wie die Aufgabengebiete der jeweiligen handelnden Personen, Teams und Organisationen immer eine große Rolle spielen.

 

Nicht selten wird von Führungskräften hinsichtlich virtuellem, verteilten Arbeiten ins Treffen geführt, dass die Digitalisierung hier manchmal mehr trennt als vereint, wenn zum Beispiel die Mitarbeiter:innen, die am Fließband stehen und jene, die im Home Office sitzen, kaum mehr etwas miteinander zu tun haben. Drohen die Unternehmen in hybriden Szenarien also in isolierte Abteilungsinseln zu zerfallen?

 

Da lohnt sich zunächst einmal der genaue Blick darauf, wie es tatsächlich bislang war und ob hier nicht zum Teil auch Mythen geschaffen werden.

Hatten die Abteilungen bislang wirklich so viel miteinander zu tun oder traf man sich da auch nur bei der Weihnachtsfeier und saß dort an getrennten Tischen? Das Silo-Denken ist ja nicht erst jetzt durch die Digitalisierung entstanden.

 

In dem Zusammenhang wird auch oft gesehen, dass der Aufbau und die Vermittlung einer Unternehmenskultur hybrid immer schwerer zu schaffen sind.

 

Auch hier gilt dasselbe: Wurde die vor der Etablierung des Home Office überall so gut und wirkungsvoll vermittelt und gelebt? Es gibt zudem kaum jemals die EINE Kultur, sondern viele Subkulturen über das gesamte Unternehmen verteilt. Je tiefer diese in den einzelnen Bereichen, bei den einzelnen Mitarbeiter:innen und vor allem auch in den Werten verankert sind, umso schwieriger ist es einen Kulturwandel zu steuern. Das gilt aber wiederum generell: Kultur zu managen, geschweige denn zu ändern, ist immer schwierig – auch im physischen Raum. Manches, wie etwa die Sozialisierung neuer Mitarbeiter:innen, gestaltet sich im virtuellen Raum mitunter schwieriger. Die grundsätzlichen Herausforderungen und Erfolgsfaktoren sind im physischen und im virtuellen Raum aber die gleichen: Man muss Kultur vorleben und muss sie aktiv pflegen.

 

Hier wird oft die Bedeutung betont, die der informelle Bereich für das Miteinander hat. Das zufällige Treffen und Sich-Austauschen am Kopierer ist dafür ein gerne zitiertes Beispiel.

 

Es stimmt: Während man einander zufällig am Kopierer trifft und sich daraus informelle Kommunikation entwickelt, muss man virtuell dazu aktiv werden. Genauso lässt sich das Team Building im Hochseilgarten nicht 1:1 virtuell umsetzen – allerdings sehr wohl in ein anderes Format.

Klar ist: Informelle Treffen braucht es auch im virtuellen Raum, um Wissen auszutauschen, Vertrauen aufzubauen, gemeinsam kreativ zu sein, Dinge weiterzuentwickeln und damit einander natürlich auch besser kennenzulernen.

Dafür kann man unterschiedliche Medien nutzen – und sich parallel zum offiziellen Konferenz-Track zum Beispiel informell über andere Tools „miteinander kurzschließen“ – ein Medienmix ist dabei immer hilfreich.

Aber es wäre auch ein Fehler, zu denken, dass man im physischen Raum nicht aktiv werden muss und sich nur auf die zufälligen Begegnungen am Kopierer verlassen kann. Studien zu Open Office zeigen beispielsweise, dass es nicht reicht, Räume – unabhängig ob physische oder virtuelle – bereitzustellen, in denen einander die Menschen begegnen können.

Auch das physische Open Office ist kein Selbstläufer und wird oft kaum genützt. Auch dort muss man, ähnlich wie online, Motivation und Anlässe zur Interaktion bewusst schaffen und sie organisieren.

 

Neue hybride Arbeitsmodelle werden oft als das „Beste zweier Welten“ zusammengefasst. Ist das die richtige Herangehensweise und das richtige Mindset? Oder limitiert man sich damit grundsätzlich schon darauf, sich an Bestehendem zu orientieren und alles Neue damit oft auch sehr punktuell zu vergleichen? In anderen Worten: Braucht es für das Neue Arbeiten auch völlig neue Denkansätze?

 

Man sollte sich dabei nicht an einem Vergleich unterschiedlicher Modelle orientieren, sondern an einer grundsätzlichen Frage: Wie lassen sich Ziele – unter Einbezug bestimmter Regeln – am besten erreichen? Die Antwort hängt immer davon ab, welche Logiken in der Organisation strukturell und kulturell verankert sind. Generell geht es bei gemischten, hybriden Arbeitsmodellen in erster Linie ums Organisieren – zum Beispiel fixe Termine, an denen man sich trifft und austauscht. Teams funktionieren nur, wenn Menschen sich austauschen und einander grundsätzlich vertrauen.

Um solch ein Vertrauen aufzubauen, braucht es allerdings nicht zwangsläufig das physische Nebeneinander – dies funktioniert auch im virtuellen Raum. Allerdings gilt auch hier: Vertrauen ist kein Selbstläufer und muss durch ein wertschätzendes, zuverlässiges Miteinander aufgebaut und gepflegt werden – im physischen wie im virtuellen Raum.

 

Auch, wenn die Szenarien immer individuelle sind – gibt es dennoch übergreifend gültige Erfolgsfaktoren für das hybride Arbeiten?

 

Die zentrale Herausforderung in hybriden Szenarien ist es, verschiedene Kommunikationskanäle zusammenzubringen und es technisch überhaupt zu ermöglichen, dass ein entsprechender Austausch stattfindet. Parallel dazu müssen klare Regeln und Routinen, beispielsweise für das Wissensmanagement, etabliert werden. Virtuelles und damit auch hybrides Arbeiten erfordert deutlich mehr Disziplin von allen Beteiligten. Wichtig ist auch, darauf zu achten, dass nicht informelle Parallelstrukturen entstehen und am Ende doch jene Mitarbeiter:innen, die mehr Präsenz zeigen, auch eher befördert werden – unabhängig von der tatsächlichen Leistung. An solchen Mustern merkt man dann sehr schnell, ob Organisationen den Kulturwandel tatsächlich geschafft haben. Die entscheidende Erkenntnis, deren man sich immer bewusst sein muss, ist: Die Technik löst keine organisatorischen Probleme.

 

 

Von Carmen Windhaber; Fotos von Lisa Resatz

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