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Der Bitcoin ist tot, lang lebe die Blockchain?



Blasen am Kryptomarkt, Player-Opportunismus und fragwürdige Use Cases lenken vom Zweck der Blockchain ab: dem Aufbau dezentralisierter Ökosysteme. Ein Gastbeitrag von Zoltan Fazekas.


Die Lage am Kryptomarkt macht in letzter Zeit immer wieder Schlagzeilen. Nach ihrem Höhenflug 2017 verloren die Top 20 Coins fast 80% an Wert, ihre Marktkapitalisierung sank binnen eines Jahres um über 400 Milliarden US-Dollar. Es klingt fast so dramatisch wie das Platzen der Dotcom-Blase, nur die Größenordnungen stimmen nicht ganz überein. Im März 2000 erreichte die Marktkapitalisierung der auf NASDAQ gelisteten Unternehmen 6,7 Billionen (inflationsbereinigt etwa 9,6 Billionen) US-Dollar. In den darauffolgenden zwei Jahren büßten Amazon, Yahoo und weitere Stars der New Economy über 95% ihres Aktienkurses ein. Auch wenn der aktuelle Crash um mindestens eine Dimension kleiner ausfiel, mussten viele Investoren, Miner, Grafikkarten-Hersteller und Blockchain-Entwickler, die ihre Projekte mit Kryptowährungen finanzierten, herbe Verluste hinnehmen.


Neben der Blasenbildung gibt es noch weitere Ähnlichkeiten zwischen der Blockchain heute und dem Internet vor 20 Jahren.

Unter anderem die kontroverse öffentliche Meinung, zum Beispiel die häufige Assoziation mit kriminellen Handlungen, erinnert an die Mitte der 1990er. Die harsche Kritik gilt neben Bitcoin und anderen nativen Kryptowährungen insbesondere den unzähligen oft wertlosen Token, die im Rahmen von Initial Coin Offerings (ICO) emittiert wurden. Ihre Anzahl und Volumina sind bis Ende 2018 allerdings wieder drastisch zurückgegangen. 2019 dürften stattdessen Security Token Offerings (STO) als regulierte Art der Unternehmensfinanzierung zunehmend bekannt werden. Obwohl der europaweit erste prospektpflichtige STO in Österreich stattfand, bleibt das Thema für hiesige Unternehmen ohne Bezug zur Kryptoszene für eine Weile noch Zukunftsmusik.


Im Gegensatz zu den meisten Technologie-Buzzwords war die Blockchain ursprünglich keine Erfindung der IT-Industrie. Das Konzept entstammt dem 2008 veröffentlichten Whitepaper von Satoshi Nakamoto, dessen wahre Identität bis heute unbekannt blieb, und entwickelte sich im Rahmen von zahlreichen Open-Source-Initiativen zu einem eigenen Technologiezweig, in dem proprietäre Produkte nicht gern gesehen werden. Wie stehen große Technologieunternehmen zu Blockchain?


IT-Riesen wie Microsoft und IBM unterstützen als Teil ihrer Cloud-Dienste schon seit Längerem die führenden Blockchain-Technologien, Amazon hat dies vor wenigen Monaten im Rahmen seiner Managed Blockchain angekündigt.

IBM und Intel haben ihre hausinternen Blockchain-Entwicklungen schon vor Jahren in die Obhut der Linux Foundation übergeben. Nach langer Missachtung der Technologie mit Ausnahme von Krypto-Werbeverboten auf ihren Plattformen vor einem Jahr überraschten in den letzten Wochen ausgerechnet Google und Facebook mit ihrem neu entdeckten Interesse an der Blockchain. Unter dem Namen Blockchain ETL arbeitet Google an einem auf der Big Data Analysesoftware BigQuery basierenden Werkzeug, das öffentliche Blockchains besser durchsuchbar und zum Beispiel Aktivitäten von Bots, die den Kurs von Kryptowährungen manipulieren können, sichtbar macht. Gerüchten zufolge beschäftigt Facebook ein Team unter der Leitung des ehemaligen Paypal-Chefs zur Entwicklung einer mit Fiat-Währungen gedeckten plattforminternen Kryptowährung (sogenannten Stablecoin). Der Smartphone-Gigant Samsung bestätigte vor Kurzem die Integration einer Krypto-Wallet in sein nächstes Flaggschiff-Modell Galaxy S10. Unbeeindruckt von den neuen „Mitstreitern" entwickeln sich die Basistechnologien kontinuierlich weiter.


Während Bitcoin, die Mutter aller Blockchains, mit Hilfe des Lightning Networks die hohen Transaktionsgebühren in den Griff bekommt und Ethereum, die bekannteste öffentliche Blockchain-Plattform für Smart Contracts und dezentralisierte Applikationen (sogenannte ĐApps) in den kommenden Jahren eine deutliche Durchsatzsteigerung und einen Umstieg auf den energieschonenden Proof of Stake (PoS) Consensus anstrebt, stehen die Herausforderer mit ambitionierten Wertversprechen bereits in den Startlöchern. Wer von ihnen sich in der Praxis durchsetzt und wer nur Schlagzeilen produziert, bleibt vorerst abzuwarten.


Wie sehen Unternehmen anderer Branchen das Potential der Technologie? Gemischt, würden die meisten sagen. Wie in den 1990ern beim Internet, ist die (Zurück)haltung vieler auch diesmal mit dem Innovator's Dilemma zu erklären.

Laut einer Erhebung der Frankfurt School of Finance and Management in deutschen Großkonzernen lag die Anzahl der mit Blockchain beschäftigten Vollzeitäquivalente vor einem Jahr lediglich im unteren zweistelligen Bereich. Gartner sah die Blockchain in seinem Hype Cycle for Emerging Technologies bereits 2017 auf dem Weg ins Tal der Enttäuschung. Anfang 2019 meldete sich dann auch der langjährige Blockchain-Befürworter McKinsey mit seinem ersten kritischen Beitrag "Blockchain's Occam Problem" zu Wort. Es ging um die Gretchenfrage, ob und für welche Probleme wir überhaupt eine Blockchain brauchen.


Die Frage ist absolut berechtigt. Medien berichteten jahrelang darüber, wie Unternehmen aller Branchen mit Blockchain-Projekten reüssierten und Mitbewerber, die einen derartigen Durchbruch noch nicht zu vermelden wagten, gehörig unter Druck setzten, beim Wettrüsten mitzumachen. Bei näherer Betrachtung stellte sich oft heraus, dass die schnellen Erfolge nichts anderes als abgespeckte Testversuche waren und den Einsatz einer Blockchain nicht rechtfertigten. Viele ignorierten die Tatsache, dass der ultimative Vorteil der Blockchain gegenüber anderen Technologien darin besteht, neue Anwendungen zu ermöglichen, die bisher mangels Vertrauen unter den Beteiligten undenkbar waren.


Die Kernaussage von McKinsey bringt es auf den Punkt: Die Blockchain, wie jede andere Technologie vor ihr, kann nur dort erfolgreich sein, wo sie die einfachste (oder gar die einzige) Lösung darstellt.

Sie muss Probleme lösen, die sich auf keinem anderen Weg bewältigen lassen. Entscheidend dabei ist nicht WAS sie löst sondern WIE sie es löst. Denn darin liegt die Einzigartigkeit dieser Technologie. Wir sollten sie endlich dafür einsetzen, wofür sie erfunden wurde: für den Aufbau dezentralisierter Ökosysteme. Ökosysteme, die einzelnen Unternehmen überlegen sind und auch Internet-Giganten wie Facebook und Google herausfordern können. Ökosysteme, in denen alle – ja, auch Mitbewerber – zusammenarbeiten und von den Netzwerkeffekten profitieren.


Wie diese Zusammenarbeit im Bereich der Wissenschaft aussehen kann, will das Austrian Blockchain Center als weltweit größtes Kompetenzzentrum für angewandte Blockchain-Forschung zeigen. Die dort versammelten Forscher und Partner aus der Privatwirtschaft sind vom Potenzial der Technologie überzeugt: die Blockchain kann eine neue Grundlage für vertrauenswürdige Daten und Vorgänge in einer vernetzten digitalen Welt schaffen.



Über den Autor:

Dr. Zoltan Fazekas beschäftigt sich seit 2016 als Speaker, Autor und Berater sowie Dozent und Betreuer von Abschlussarbeiten mit dem Thema Blockchain und Distributed Ledger- Technologien. Der promovierte Informatiker unterrichtet und verantwortet die Blockchain- Bildungsangebote an der FH Technikum Wien. Er verfügt über 20 Jahre Erfahrung in der IT-Industrie, seit 2007 als Geschäftsführer der iteratec GmbH in Österreich und Gründer der international aufgestellten Blockchain Labs des IT-Dienstleisters. Seine Passion gilt der fundierten Analyse und Wissensvermittlung über innovative Technologien und ihre Einsatzmöglichkeiten.



Fotos: Milagros Martinez-Flener

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